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«Die Arbeit auf Systemebene ist zwingend»

Suba Umathevan ist seit dem 1. November 2020 Geschäftsführerin der DROSOS STIFTUNG. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen unserer Zeit, was es braucht, um nachhaltige Veränderungen zu schaffen, und wie sie die Arbeit von DROSOS weiterentwickeln will.

Die DROSOS STIFTUNG fördert Projekte, die jungen Menschen dabei helfen, ihre Lebensumstände zu verbessern. Welchen Schwierigkeiten begegnet die Jugend heute?

Die Förderung des Potenzials junger Menschen steht seit der Gründung der DROSOS STIFTUNG im Vordergrund. Wir setzen uns dafür ein, dass sie die Chancen haben, ihren Lebensweg selbständig zu definieren. Jetzt, gut 19 Jahre nach unserer Gründung, ist diese Aufgabe noch relevanter geworden. Unser Lebensumfeld ändert sich stetig und ist mit vielen Unsicherheiten verbunden – vor allem in den Projektländern, in denen wir arbeiten. Im Libanon zum Beispiel herrscht ein wirtschaftliches Chaos von historischem Ausmass und für die Jugendlichen vor Ort eine entsprechende Perspektivenlosigkeit. Ein weiteres Problem: In vielen Ländern, in denen wir tätig sind, gibt es gar keinen richtigen Arbeitsmarkt für die zahlreichen gebildeten jungen Menschen. Hinzu kommen Ungleichheiten, Ungleichbehandlung, zum Beispiel in Bezug auf die Geschlechter, sowie psychische Probleme, die mit der Pandemie zugenommen haben.

Nicht gerade rosige Aussichten.

Es ist schwierig, weil Jugendliche sich oft in einer Situation der Hilflosigkeit befinden. Wie können sie Perspektiven sehen, wenn sie jeden Tag soziale Ungleichheit erleben? Man kann sich nur selbstbewusst fühlen, wenn man auch zu Chancen kommt, wenn man selbständig etwas machen kann. Als Stiftung können wir zusammen mit unseren Partnerorganisationen jungen Menschen den Mut geben, an sich selber zu glauben, und ihnen helfen, die Perspektiven dort zu suchen, wo es wirklich Möglichkeiten gibt. Inmitten all der erwähnten Schwierigkeiten gibt es auch Chancen für die Entwicklung neuer Ideen und Berufsfelder. Digitale Technologien zum Beispiel haben mit der Pandemie weiter an Bedeutung gewonnen. Zu wissen, wie man sie nutzt, ist das eine, wie man sie kreiert, ist das andere. In diesem Bereich könnten viele junge Menschen ihre Zukunft sehen. Solche zukunftsrelevanten Gebiete können wir als Stiftung fördern. Es ist wichtig, ein gesellschaftliches Umfeld und ein System zu schaffen, in dem sich Jugendliche entfalten und welches sie mitgestalten können. Letztendlich geht es um ihre soziale Eingliederung.

Wie geht die DROSOS STIFTUNG diese Herausforderungen an?

Seit unseren Anfängen 2003 konnten wir in allen Ländern, in denen wir arbeiten, sehr gute Partnerschaften und Projekte entwickeln. Für uns ist es wichtig, dass unser Förderansatz den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen gerecht wird und nachhaltige und grösstmögliche Wirkung erzielt. Als neue Geschäftsführerin habe ich mir genauer angeschaut, was wir gut machen, ob wir für die heutigen Herausforderungen gut aufgestellt sind und was wir verbessern können. Diesen Fragen sind wir 2021 in einem Strategieprozess mit Mitarbeitenden aus allen Regionen nachgegangen. Wir kamen zum Schluss, dass vieles bereits sehr gut funktioniert, wir uns in einigen Bereichen aber auch noch weiterentwickeln können. Unsere Stärken sind die Nähe – zum lokalen Kontext und zu den Partnerorganisationen – sowie unser Partnerschaftsansatz. Es ist bei uns nicht so, dass eine Organisation bereits mit einem vollständig ausgereiften Konzept zu uns kommt und wir dann einfach das Geld dafür spenden. Es ist ein kollaborativer Prozess, in dem Partnerorganisationen und unsere Mitarbeitenden gemeinsam ein Konzept im Sinne unserer Förderziele und der lokalen Bedürfnisse erarbeiten. Statt nur Einzelprojekte zu unterstützen, setzen wir auf die Organisationsentwicklung und Stärkung unserer Partnerorganisationen. Ich habe mehrmals erlebt, dass eine Organisation etwas Gutes machen will, sie aber in bestimmten Bereichen nicht über das nötige Wissen oder die Erfahrung verfügt. Gemeinsam mit der Organisation gehen wir auf einzelne Bereiche ein und schauen, wo Lücken bestehen, und entscheiden zusammen, wo Unterstützung nötig ist und wie diese aussehen könnte. Wir helfen ihnen – entweder direkt oder via externe Dienstleister:innen – diese Lücken zu füllen und als Organisation stärker zu werden, damit sie langfristig weiterbestehen und den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben können. Mit diesem Ansatz stellen wir die Nachhaltigkeit sicher und tragen indirekt zur Förderung eines ganzen Systems bei.

Welche neuen Erkenntnisse gewannen Sie aus diesem Strategieprozess?

Ich bin sehr zufrieden, dass wir grundsätzlich bereits sehr gute Arbeit leisten. Wir können aber noch mehr bewirken. Dies fängt bei uns intern als Organisation an, indem wir den Wissensaustausch mehr fördern, voneinander lernen und versuchen, innovativ zu denken. Ein wichtiger Aspekt, der in der Strategiephase herausstach, war die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den meisten unserer Interventionsländer. Mit der Coronakrise hat sich die Situation weiter zugespitzt. Junge Frauen sind überproportional betroffen. In diesem Bereich sehen wir als Organisation eine hohe Dringlichkeit. Insofern werden wir noch stärker darauf schauen, welche Fähigkeiten Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene benötigen, um für den Arbeitsmarkt vorbereitet zu sein respektive darin Fuss zu fassen. Dies ist je nach Alter, Geschlecht, sozialem Hintergrund, Bildungsstand und Kontext unterschiedlich. Ein 10-Jähriger braucht vielleicht eher Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Stärkung seines Selbstbewusstseins, während eine 30-Jährige zum Beispiel konkrete Unterstützung benötigt, um ihre Geschäftsidee weiterzuentwickeln und umzusetzen. Genau dies gehen wir nun in der Umsetzungsphase zusammen mit unseren Partnerorganisationen an: Wie können wir jungen Menschen helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen, und wie sieht dies konkret aus in Marokko, in Deutschland etc.? Wir richten unsere Strategie nicht komplett neu aus, sondern entwickeln sie weiter und fokussieren sie, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen. Zum Beispiel, indem wir bei der Projektarbeit auf Skalierungseffekte schauen, Probleme auf ganzheitlicher Ebene angehen, Bewusstsein schaffen und versuchen, auf die Ursachen von bestimmten Problemen oder Hindernissen einzuwirken.

Was bedeutet dies für den Partnerschaftsansatz von DROSOS?

Partnerschaften sind und bleiben das Herzstück unserer Arbeit. Wir möchten diese allerdings noch bewusster und gezielter angehen. Wir arbeiten aktuell vorwiegend mit Umsetzungspartnern wie z. B. kleinen und grösseren zivilgesellschaftlichen Organisationen, lokalen NGOs etc. Diese Zusammenarbeit wird weiterhin die Grundlage unserer Arbeit bilden. Wir sehen aber grosses Potenzial darin, Partnerschaften weiterzudenken und als Ökosystem mit implementierenden, unterstützenden und Einfluss nehmenden Partnern zu kultivieren. Je nach Thematik und Bedarf können wir weitere Akteure wie andere Stiftungen oder Institutionen mit ins Boot holen. Dies erlaubt uns, Expertise, Finanzen, Wissen oder Netzwerke zu bündeln, um eine breitere Wirkung zu erzielen. Durch die Zusammenarbeit und den Austausch mit einflussreichen Organisationen können wir ein Bewusstsein für die Herausforderungen von marginalisierten Jugendlichen schaffen. Die Arbeit auf Systemebene ist zwingend, um Ungleichheiten anzugehen und Hürden, die Jugendlichen die soziale Eingliederung erschweren, langfristig abzubauen. Es wird immer noch schwierig sein, Denkweisen einer ganzen Gesellschaft zu ändern. Aber wenn wir es zum Beispiel schaffen, den Blick einer Gemeinschaft auf Menschen mit Behinderungen zu ändern, und letzteren gleichzeitig ermöglichen, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften, ist dies schon ein riesiger Schritt vorwärts.

Wie sehen Sie die Rolle der DROSOS STIFTUNG in Zukunft?

Wir können unsere Rolle für die Zukunft noch besser definieren und arbeiten aktuell genau daran. Zum einen sehe ich es als unsere Aufgabe, unser Denken zu schärfen, die Vernetzungen gut zu verstehen, die es erlauben, langfristig etwas zu bewegen und dies in unserer Projekt- und Programmarbeit umzusetzen. Wir sind nicht politisch, wir haben keine versteckte Agenda, wir können also mutig systemische Veränderungen vorantreiben. Zum anderen sehe ich eine Rolle für uns innerhalb des Stiftungssektors. Es gibt grosses Potenzial, unsere Branche und Vorgehensweise zu überdenken, gemeinsam neue Lösungen zu entwickeln, um faktenbasiert und zukunftsorientiert zu fördern. Wir als ganzer Sektor sollten uns fragen: Handeln wir selber so, wie wir es von unseren Partnerorganisationen verlangen? Als Organisation und als Branche können wir eine grosse Hebelwirkung erzielen. Wir können andere Akteure motivieren und inspirieren und die Gesellschaft positiv beeinflussen.